
Ich mache keinen Hehl daraus: Ich bin enttäuscht
Am Sonntag wurde Zofingens erste Stadtpräsidentin Christiane Guyer als Stadträtin nicht wiedergewählt. Im Interview schaut sie auf ihre Amtszeit zurück und sagt, warum sie jeden Morgen in den Spiegel blicken kann.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie am vergangenen Sonntag das Wahlresultat erfahren haben?
Christiane Guyer: Da es um die Erneuerungswahlen des Stadtrates ging, war ich zu Hause und nicht im Wahlbüro. Es dauerte lange, bis das Telefon kam – ich wurde langsam nervös. Als ich dann vom Wahlresultat erfuhr, war ich sehr überrascht. «Jetzt machst du einen Witz», sagte mein Mann, als ich ihm davon erzählte. Dann habe ich meine Familie informiert.
Mit diesem Ergebnis haben Sie nicht gerechnet?
Aufgrund der Feedbacks der Leute, mit denen ich zu tun hatte, habe ich nicht mit einer Abwahl gerechnet. Ich hatte mit vielen Menschen Kontakt, aus verschiedenen Parteien und Organisationen. Alle haben vor den Wahlen gesagt: «Du hast doch nichts zu befürchten.»
Wieso wurden Sie trotzdem nicht gewählt?
Ja, das bringt einen ins Nachdenken. Woran hat es gelegen? Eine einfache Antwort darauf habe ich nicht. Möglicherweise hätte ich deutlicher kommunizieren müssen, was ich erreicht habe. Vielleicht habe ich zu wenige Inserate im Zofinger Tagblatt geschaltet, zu wenig klassischen Wahlkampf betrieben. Manchmal spielen Faktoren mit, die man nicht beeinflussen kann – Stimmungen, kurzfristige Themen oder einfach der Zufall.
Ihnen haben 18 Stimmen gefehlt. Sie sagen, vielleicht war es ein Zufallsentscheid. Haben Sie Wahlbeschwerde eingelegt und nachzählen lassen?
Nein, das habe ich nicht gemacht. Ich vertraue dem unabhängigen Wahlbüro.
Wie ging es Ihnen in den Tagen nach der Wahl?
Ich mache keinen Hehl daraus: Ich bin enttäuscht. Ich habe mein Bestes gegeben, habe mich ganz lange für diese Stadt und die Bevölkerung engagiert, ganz viel gearbeitet. Ich habe aber auch viele schöne Rückmeldungen erhalten von den verschiedensten Leuten, von Freunden, Mitarbeitenden, von anderen Gemeindeammännern, aus dem Regierungsrat, von Vertretern der Wirtschaft. Das gibt auch Trost.
Haben Sie sich am Montag eine Auszeit genommen, um alles zu verarbeiten?
Nein, ich war am Montagmorgen wie gewohnt früh im Büro. Das Leben geht weiter. Ich bin aber seit langer Zeit wieder einmal um 17.30 Uhr aus dem Büro gegangen.
Sie haben am Dienstag am Tag der regionalen Wirtschaft teilgenommen. Wie viel Überwindung brauchte es, so schnell nach dem Wahlsonntag einen öffentlichen Auftritt zu absolvieren?
Selbstverständlich habe ich mir das gut überlegt. Ich habe mich die letzten vier Jahre für den Wirtschaftsstandort engagiert, authentisch politisiert, authentisch die Stadt geführt, mein Bestes gegeben. Ich konnte jeden Morgen in den Spiegel schauen, auch am Dienstagmorgen. Darum habe ich den Termin wahrgenommen.
Sie sind die erste Stadtpräsidentin von Zofingen, Sie politisieren grün. Ist Zofingen für eine grüne Frau an der Spitze der Exekutive doch noch nicht bereit?
Scheinbar nicht. Ich will nicht in eine falsche Opferrolle geraten, aber als Frau muss man sich immer wieder beweisen, zeigen, dass man der Aufgabe eben doch gewachsen ist. Das habe ich immer wieder gespürt. Als Frau muss man leider doppelt so gut sein wie ein Mann. Jetzt ist in der Stadtregierung nur noch eine Frau vertreten. Da sehe ich für Zofingen einen Rückschritt.
Als Sie vor 15 Jahren als Stadträtin gewählt wurden, waren die Frauen im Stadtrat in der Mehrheit.
Wir Frauen bringen andere Aspekte in ein Gremium: mehr Herzlichkeit, mehr Menschlichkeit, eine andere Perspektive, Diversität. Das wäre für die Entwicklung und die Zukunft von Zofingen schon sehr wichtig.
Ist die grüne Welle in Zofingen vorbei?
Ich hoffe, dass es auch weiterhin viele engagierte Kräfte gibt, die sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Da hat Zofingen viel Potential. Ich liebe Zofingen, weil es eine Kleinstadt ist, die so viel Lebensqualität und Möglichkeiten bietet. Für eine moderne, nachhaltige und zukunftsgerichtete Stadt und regionales Zentrum gibt es noch einiges zu tun.
Während des Wahlkampfs hörte man immer wieder, dass die Bevölkerung unzufrieden ist mit dem Gesamtstadtrat. Er streite, ziehe nicht am gleichen Strick. Ist diese Unzufriedenheit nun Ihnen angelastet worden?
Als Präsidentin an der Spitze eines Gremiums muss man für vieles die Verantwortung tragen, für das man gar nicht verantwortlich ist. Das zeigt die Grenzen des Ressortführungssystems auf. Vielleicht habe ich diesem Aspekt zu wenig Rechnung getragen.
Während Ihrer Zeit im Stadtrat wurde nicht nur die Frauenquote kleiner, der Stadtrat wandelte sich mit der Wahl eines zweiten FDP-Mitglieds auch von Mitte-links zu eher bürgerlich. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Grundsätzlich war der Stadtrat in all diesen Jahren ein bürgerlicher Stadtrat. Zofingen hatte nie einen links-grünen Stadtrat. Mir ging es aber nie um links oder rechts, sondern um die Sachpolitik. Ich habe auch den Grünen nicht immer gefallen. Ich versuche, möglichst viele Perspektiven einzufangen und dann die beste Lösung für die Bevölkerung zu erarbeiten.
Wenn Sie zurückschauen: Was hätten Sie anders gemacht als Stadtpräsidentin?
Ich kann das Rad nicht zurückdrehen. Mir war es immer wichtig, aus Inputs zu lernen und mich zu verbessern. Es dürfen Fehler passieren – und die sind auch passiert. Das Wichtigste war aber, daraus zu lernen. Beispielsweise die Kommunikation. Es hiess, der Stadtrat kommuniziert zu wenig. Daher habe ich angeregt, Infoveranstaltungen durchzuführen. Wir müssen noch offensiver kommunizieren und die Möglichkeit für direkte Begegnungen nutzen. Hier sehe ich grosses Potential.
Es gab bereits zwei Infoveranstaltungen, die nächste findet Anfang Juni statt. Wird das Angebot von der Bevölkerung genutzt?
Bei der ersten Veranstaltung nahmen fast 100 Personen teil, bei der Info zur Rechtsformänderung des Seniorenzentrums nicht mehr ganz so viele. Es gab viele spannende Fragen und Diskussionen und man spürte, was in der Bevölkerung brennt. Diese Möglichkeit, direkt miteinander zu kommunizieren, sollte es auch in Zukunft geben.
Ist das ein Tipp, den Sie an Ihre Nachfolgerin oder Ihren Nachfolger weitergeben: Führt diese Veranstaltungen unbedingt weiter?
Ich möchte nicht Empfehlungen abgeben. Ich persönlich finde die Infoveranstaltungen ein gutes Mittel.
Wir haben bei den Parteien gesammelt, welche Errungenschaften sie Ihnen und Ihrer Amtszeit zuschreibenwürden. So sagen Stimmen, dass Sie grüne Anliegen sehr stark verfolgt hätten, vielleicht sogar zu kompromisslos. Sind Sie eine grüne Hardlinerin?
Nein, das bin ich nicht. Ich bin nicht dogmatisch. Ich habe eine grüne Grundhaltung, indem ich der künftigen Generation eine lebenswerte Zukunft übergeben will. Ich bin aber eher als pragmatische Politikerin bekannt. Sonst wäre ich damals nicht in dieses Amt gewählt worden.
In welches Projekt haben Sie besonders viel Herzblut investiert?
Da gibt es viele Projekte. In den vergangen vier Jahren habe ich die Vielfalt meines Amts unglaublich geschätzt. Von der Personalführung über Projekte in der Raumplanung bis zur neuen Rechtsform des Seniorenzentrums habe ich viele Projekte begleitet. Besonders geschätzt habe ich die regionalen Projekte: die Zusammenschlüsse der Feuerwehr und der Bevölkerungsschutzregionen, die Arbeit im Regionalverband, beispielsweise mit der Entwicklung des regionalen Entwicklungskonzepts.
Sie hatten als Stadtpräsidentin die Finanzen nicht unter sich. Bisher war das immer Chefsache. War das eine gute Entscheidung?
Es war ein bewusster Entscheid, denn dem Stadtrat war es wichtig, bei der Ressortverteilung auf fachliche Hintergründe und Stärken zu achten. Ich sehe im Präsidium auch die Aufgabe, die Stadt weiterzuentwickeln. Das Ressort Sicherheit behielt ich auch als Stadtpräsidentin – aus der Überzeugung heraus, dass Sicherheit eine wichtige Lebensgrundlage ist und im Verbund am besten geboten werden kann. So haben wir alle Themen, die mit strategischer Entwicklung und mit regionaler Zusammenarbeit zu tun haben, beim Präsidium gebündelt.
Was verbinden Menschen in Zofingen oder der Region mit der Amtszeit von Christiane Guyer?
Aus Feedbacks höre ich, dass man spürt, dass ich engagiert, mutig, herzlich und offen bin. Ich habe immer gesagt, will nicht nur verwalten, ich will auch gestalten. Und ich habe Projekte angefasst, die schon länger fällig waren.
Zum Beispiel?
Die Altstadtentwicklung – das ist kein neues Thema. Während meiner Amtszeit haben wir angefangen, das Thema zu diskutieren. Oder die Transformation innerhalb der Verwaltung. Ich habe mit Überzeugung meine Anliegen vertreten, war aber immer auch kompromissbereit. Die Sache stand bei mir im Vordergrund, nicht die Ideologie. Das habe ich oft als Feedback erhalten.
Die Altstadtentwicklung wurde mit viel Elan angegangen, ist nun aber etwas zum Erliegen gekommen. Können Sie das Projekt noch zu Ende führen oder müssen das Ihre Nachfolgerin oder Ihr Nachfolger machen?
Die Altstadtentwicklung hätte ich gerne weitergeführt. Doch ich spüre: Da braucht es noch viele Gespräche, viel Dialog, um gemeinsame Lösungen zu finden. Wir haben die Leitlinien festgelegt: Die Altstadt soll das Herz der Stadt sein. Bei den Massnahmen jedoch ist die Diskussion sehr kontrovers. Da wird es sinnvoll sein, wenn diese Diskussion meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger weiterführt.
Wie sieht das kommende halbe Jahr aus, bis Sie das Büro räumen müssen?
Ich bin bis Ende Jahr gewählt. Ich werde in diesem halben Jahr auch weiterhin mein Bestes geben. Von daher ist der Plan klar: Es gibt noch einiges zu tun. Ich führe eine Liste mit Projekten, die ich sinnvollerweise noch beende oder zu einem guten Zwischenstand führe, damit der neue Stadtrat dann gut neu starten kann. Dazu gehören die verschiedenen Arealentwicklungen wie Swissprinters oder Vordere Vorstadt.
Wissen Sie schon, wie es für Sie danach weitergehen wird? Sie sind 61 Jahre alt und haben Ihren Job verloren. Keine einfache Ausgangslage.
Es ist noch keine Woche seit dem Wahlsonntag vergangen. Es wird Ende Jahr einen Bruch geben, das ist klar, und da mache ich mir natürlich auch Sorgen darum. Doch mittlerweile habe ich Vertrauen, dass sich ein Weg öffnen wird. Welchen, das kann ich noch nicht sagen.
> Quelle: Zofinger Tagblatt (24.05.2025)